24.2.2007 (16:38)
Der nächste Sonntagsspaziergang ist gerettet, auch bei Regenwetter. Denn er ist virtuell: Wer als langjähriger Windowsnutzer mal ganz neue Wege gehen möchte, ist beim soeben erschienenen SIDUX genau richtig. Abseits der ausgetretenen Windows-Pfade zeigt dieses Projekt, wie aktuell und leistungsfähig ein freies Betriebssystem sein kann. Bereits in der Standardversion ohne Grafiktreiberabhängige 3d-Oberfläche braucht sich SIDUX hinter Windows XP nicht zu verstecken.
Sidux - soeben fertiggestellt
Das Entwicklerteam um Stefan Lippers-Hollmann (slh), Chris Hildebrandt (slam) und andere engagierte Linux-Entwickler, die bis November vergangenen Jahres tragende Säulen beim Kanotix-Projekt waren, hat jetzt seine Debian basierte Distribution SIDUX in Version 2007-01 (Codename "Chaos") vorgelegt. Das besondere an diesem Projekt: Nicht die aufgrund des raschen Fortschritts in der Hardwareentwicklung bereits bei Erscheinen als veraltet zu betrachtende Stable-Release von Debian liegt dem Projekt zugrunde, sondern die SID genannte Entwicklerfassung. Das bedeutet: stets brandaktuelle Software, die auch auf aktueller Hardware stabil lauffähig ist. Denn Insider wissen: Längst nicht alles, was in SID implementiert ist, schafft den Weg bis in die Stable-Version von Debian, oder nur mit großer Verzögerung. Der Nutzer hat das Nachsehen, wenn er mit seiner Hardware grade auf diese Komponenten angewiesen ist.
Das ehrgeizige Vorhaben, direkt aus SID eine moderne, alltagstaugliche und stabile Linux-Variante zu machen, ist den Entwicklern gelungen. Auf mehreren unterschiedlichen Testsystemen, darunter auch ein Notebook, läuft die Life-CD out of the box, ohne zusätzliche Benutzereingriffe. Mit 3-4 vorgesehenen aktualisierten Folgeversionen pro Jahr wird das SIDUX-Prokjekt auch langfristig stets aktuell bleiben, so versprechen die Entwickler.
In der kompletten CD (nicht die Light-Version) ist bereits ein umfassendes Softwarepaket vorinstalliert, das vom Internetbrowser (Iceweasel = Firefox) über Mailprogramm, IRC-Client, FTP-Client, Instant Messenger, Bittorrent-Client, Audio- und VideoPlayer, Brennprogramm (k3b), Bildbearbeitung, PDF-Viewer und -Generator, bis zur kompletten Büroanwendung OpenOffice 2.0 reicht.
Ein kleines Wölkchen trübt den ansonsten strahlend blauen, sonnigen Sidux-Himmel: Hardware-Treiber, die nicht unter einer freien Lizenz stehen und zu denen vom Hersteller kein Quelltext bereitgestellt wird sind nicht auf der CD enthalten. Das bedeutet: man muß sie vor der Benutzung mit wenigen Befehlen selbst beim jeweiligen Anbieter herunteraden und installieren, ein Procedere, das dem Anwender ja auch unter Windows nicht ganz fremd ist. Kein großes Problem also, zumal die benötigten Quellen beim SIDUX-Projekt gut dokumentiert sind. Allerdings: Den Nutzwert der Life-CD als Datenrettungsinstrument schränkt dies etwas ein: Für diesen Zweck muß die Scheibe möglichst unter allen Umständen sofort vollständig laufen. Auf spezielle 3d-beschleunigte Grafiktreiber kann man in diesem Zusammenhang zwar unbedenklich verzichten, auch DVB- und Soundkartentreiber sind hierfür nicht von Bedeutung. Doch auch zahlreiche Netzwerk- und WLAN-karten finden sich unter den nachzuinstallierenden Komponenten, was die Sicherung der Daten des PC-Patienten per Netzwerk auf einen anderen Rechner aus der Life-CD heraus erschwert. Hier empfiehlt es sich also, vorläufig beim alten Kanotix zu bleiben. Die letzte stabile Version datiert allerdings noch aus dem Jahr 2005, ist also bereits durch Debian-stable überholt und sollte vorerst nicht mehr für Neuinstallationen benutzt werden.
Für alle jedoch, die sich auch nach der Abkehr des Kanotix-Gründers Jörg Schirottke von SID als Basis ein brandaktuelles Linuxsystem für ihre moderne Hardware gewünscht haben: hier ist es, das "neue Kanotix". Es heißt jetzt SIDUX. Bemerkenswert, was dort entstanden ist, insbesondere, wenn man bedenkt, daß dieses Projekt erst im November 2006 begonnen wurde, also vor grade mal drei Monaten. Hut ab!
Tipps zum Ausprobieren:
Das Image der Life-CD steht bei sidux.com :: debian based live cd development zum Download bereit.
Eine von mehreren Quellen: Der File-Mirror bei der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig (http und ftp).
ISO-Image: (2007-01 "Chaos") http://debian.tu-bs.de/project/sidux/…10759-CHAOS.ISO
MD5-Prüfsumme: :info: : 6adfa9d1bbac82af6340109e6699ba01
Außer dieser 32-Bit-Version für x86-basierte Rechner kann von dort eine 64-Bit Edition sowie die Light-Variante heruntergeladen werden.
--> Update: Sidux 2007-02 ("Tartaros")
Nach dem Download sollte man sich mit Hilfe der auf dem Downloadserver als .md5-Datei mit gleichem Namen bereitgestellten md5-Prüfsumme davon überzeugen, daß das große Image fehlerfrei übertragen worden ist. Dies erspart späteren Verdruß, denn eine beschädigte CD verursacht stets unerwartete Fehler - falls sie sich überhaupt starten läßt. Das gilt hier genau wie für alle anderen Downloads aus dem Internet.
Beim Brennen unter Windows ist zu beachten, daß die CD mit der Option "burn from ISO" gebrannt wird, und nicht etwa das ISO als Datei auf eine DatenCD geschrieben wird. Ferner muß im Modus "Disk at once (DAO)" gebrannt und die CD finalisiert (geschlossen) werden.
Beim Systemstart von CD wählt man aus dem Auswahlmenü "Sidux default" aus, und mit der Taste F4 seine Landessprache, z.B. "Deutsch". Zusätzlich sollte man die gewünschte Bildschirmauflösung per Hand in die Befehlszeile anfügen, ohne dabei die bereits dort vorgefundenen Einträge zu verändern. Benötigt das verwendete Display z.B die etwas exotische Auflösung 1440x900 Pixel, so trägt man einfach screen=1440x900 nach. Mit der Taste F1 erhält man Infos, welche Cheatcodes außerdem verwendet werden können, z. B. zur Festlegung einer bestimmten Bildwiederholfrequenz o.ä.
Um seine Windows-Daten braucht man sich übrigens keine Sorgen zu machen, das Live-System greift die Festplatte nicht an, und der Root-Zugriff ist standardmäßig nicht möglich (fortgeschrittene Nutzer können die Sicherheitsbeschränkungen jederzeit aufheben). Wer aus Sidux heraus auf seinen NTFS-Laufwerken auch schreiben möchte, sollte vorher noch diesen Artikel lesen: Linux goes NTFS
Programme werden in Sidux wie unter Windows aus einem Startmenü heraus gestartet, welches hier "K"-Menü heißt. Da wartet für viele eine Welt darauf, erobert zu werden.
Wer sich vorab über die Funktionsweise und Features von Sidux ausführlich informieren möchte: Ein umfassendes Handbuch mit detaillierten Anleitungen und Infos steht unter sidux manual nicht nur in deutscher Sprache bereit. Tatkräftige Unterstützung bei allen Problemen gibt es im projekteigenen SIDUX-Forum (englisch und deutsch). Darüber hinaus freut sich das Entwicklerteam über einen Besuch im IRC #Sidux Chatroom (irc.oftc.net, Port 6667). Auch dort findet man - vernünftige eigene Umgangsformen vorausgesetzt - stets jemanden, der ein freundliches "Hallo" und gute Tipps auf Lager hat. Mit der Eingabe !factoids und anderer Schlüsselbegriffe im Chatroom bekommt man sofort die wichtigsten Infos im Überblick, eine FAQ-Sammlung sozusagen. Man kann sie sich aber auch einfach unter Factoids Alphabetized ansehen.