15.6.2007 (18:26)
Vista oder nicht Vista
Betrachtungen zum neuen Windows - Betriebssystem
Man sollte seine Entscheidung, Vista zu nutzen oder darauf zu verzichten nicht zu einer Glaubensfrage machen. Auch der erschwingliche Verkaufspreis sollte nicht unbedingt ein Kriterium sein. Natürlich ist es cool, das aktuellste Windows auf dem Rechner zu haben, und sich an den wirklich gelungenen grafischen Effekten zu erfreuen. Aber es gibt ein Paar Dinge, die nicht sofort ins Auge fallen, die aber jedem zu denken geben sollten.
Peter Gutman von der Oakland University in Neuseeland hat einen langen Artikel (A Cost Analysis of Windows Vista Content Protection) verfasst, in dem er sich detailliert mit den langfristigen Folgen von Vista für den Anwender auseinandersetzt. Für die nicht englischsprechende Fraktion unter unserern Lesern hier einige wichtige Aussagen daraus in Deutsch zusammengefasst:
- Vista deaktiviert vorsätzlich Hardwarefunktionen. Beispiel: Hochwertige S/PDIF bzw. optische/coax-Digitalausgänge werden bei der Wiedergabe von "Premium-" Inhalten abgeschaltet, da sie aus Sicht des Inhalteanbieters als "unsichere" Verbindung eingestuft werden. Grade hochwertige Aufnahmen werden aber künftig nur noch als Premium-Inhalte angeboten. Folge: AudioCD's mit bestimmten Kopierschutzmerkmalen lassen sich nicht mehr unter Vista über den heimischen Highend-Verstärker abspielen. Das gleiche gilt für hochaufgelöste Videoinhalte, die sich in Zukunft wegen der fehlenden HDCP-Unterstützung über *keine* der bis heute käuflichen Grafikkarten unter Vista abspielen lassen, auch wenn sie tausend Euro oder mehr kostet. Echounterdrückung bei der Sprachübertragung ist mit Vista nicht mehr befriedigend möglich, obwohl es hardwareseitig kein Problem gibt; der Inhalteschutz verbietet es.
Die Liste der Beispiele läßt sich beliebig fortsetzen, wen es im Detail interessiert kann es selbst nachlesen.
Heute funktionierende Hardware kann nachträglich jederzeit von Microsoft abgeschaltet werden Auch wenn beim Kauf alles am System funktioniert hat, heißt das unter Vista nicht, daß es auch auf Dauer so bleibt. Wiedereinmal geht es um Premiuminhalte. Sobald bekannt wird, daß eine bestimmte Komponente oder deren Treiber Premiuminhalte entschlüpfen lassen könnte, wird die Signatur nachträglich zurückgezogen. Der Käufer schaut buchstäblich in die Röhre, seine Hardware wird unter Vista plötzlich unbenutzbar. Und: Wie lange wird wohl der Hersteller solche Bugs nach Kauf noch beseitigen? Die End-Of-Service Zeiten werden knapp kalkuliert, sind nachträgliche Korrekturen doch immer ein hoher Kostenfaktor.
Vista-Computer sind weniger zuverlässig für den Nutzer. Hört sich zunächst seltsam an, angesichts der umfassenden Bestrebungen Microsofts, das System mit Vista sicherer zu machen. Und wieder ist es der eingebaute Schutz für Premiuminhalte, der die Probleme verursacht. Ein klein wenig Hintergrundwissen ist dazu erforderlich, um die Problematik zu verstehen: Zunächst einmal, in einem normalen PC geht nie alles ganz glatt, es gibt immer irgendwelche Abweichungen von der Norm. Das können geringfügige Spannungsschwankungen ein einer Datenleitung sein, Falsch gesetzte Speicherwerte, fehlerhafte Rückgaben eines Funktionsaufrufes durch den Prozessor und vieles mehr. Normalerweise kein Problem, Hardware oder Software erkennen den Fehler und gleichen es aus, sodaß der Nutzer nichts von alledem mitbekommt.
Mit Vista ist das anders. Vista überwacht die einzelnen sensitiven Informationspfade, auf denen Inhalte verarbeitet werden mit sogen. "tilt bits". Damit soll verhindert werden, daß die Premium-Inhalte aus ihrem Gefängnis ausbrechen können. Die unbedeutende Spannungsschwankung, die beim Anschluß eines USB-Gerätes auftritt könnte ja auch ein Versuch eines Hackers gewesen sein, sich mit Meßgeräten Zugang zu den Daten zu verschaffen. Folglich reagiert Vista prompt und -- ja richtig vermutet: Das betroffene (Sub-)System wird komplett neu gestartet.
Zuverlässige Systeme im Sinne von "zuverlässig für den Nutzer" baut man jedenfalls anders.
Bei nicht mehr fabrikneuen Rechnern wird es noch schlimmer: Kondensatoren altern rasch und verändern dabei ihre elektrischen Eigenschaften. Normalerweise kein Problem, doch auch so etwas wird von Vistas "tilt-bits" als Hacker-Angriff gewertet.
Hardeware wird durch Vista teurer
Da die Hersteller die komplexen Anforderungen der Contentindustrie erfüllen müssen, um deren Inhalte vor dem Anwender zu schützen, und diesen Schutz auf Dauer zu gewährleisten, werden die produkte erheblich verteuert. Diese Kosten werden nicht etwa von der Contentindustrie getragen, in deren Interesse der ganze Aufwand betrieben wird, sondern vom Käufer der Hardwarekomponente. Es ist nun einmal nicht billig für einen Hersteller, das Produkt jedesmal zu überarbeiten, wenn sich nach der Markteinführung eine Schwachstelle im Inhalteschutz zeigt. Hinzu kommt, daß die verordneten Methoden zum Schutz der Inhalte regelmäßig einem Patentschutz unterliegen, was zusätzliche Lizenzabgaben an Dritte nach sich zieht.
Vista verbraucht sinnlos CPU-Rssourcen
Und der Anwender/Nutzer hat nichts davon. Denn hier ist nicht von den tollen optischen Effekten oder sicherheitsrelevanten Checks die Rede. Nein, Vista verbraucht viel Rechenleistung einfach nur dafür, sicherzustellen, daß alle DRM-Restriktionen kontinuierlich eigehalten werden. Um die gleiche Leistung nutzen zu können wie unter anderen Betriebssystemen, muß der Kunde eine stärkere CPU mit entsprechend höherem Stromverbrauch einsetzen.
Vista kann zur Sicherheitsgefahr im Unternehmen werden
Der eingebaute Inhalteschutz kann durch Fehlfunktion dazu führen oder in einem Angriffszenario (DoS) dazu mißbraucht werden, berechtigte Nutzer von sicherheitsrelevanten Informationen auszusperren. Im medizinischen Bereich kann so etwas tödlich enden, in der Industrie zu Unfällen führen. Was wird nun als höheres Risiko einzuschätzen sein: Der mögliche Zugriff unberechtiger Personen auf "Premium-"Inhalte, oder die mögliche Verweigerung des Zugriffs berechtigter Personen im entscheidenden Moment? Vista überläßt diese Entscheidung leider nicht dem Anwender.
Quelle: A Cost Analysis of Windows Vista Content Protection
Peter Gutman ist Researcher mit Fachgebiet Security Engineering am Department of Computer Science der University of Auckland, Nz.
Durch seine Tätigkeit ist er bestens und aktuell informiert. Es lohnt sich, seine Abhandlung über Windows Vista einmal sorgfältig zu lesen. Wenn man alle diese Punkte für sich geklärt und gegen die Vorteile abgewogen hat, die das neue Betriebssystem Vista ohne Zweifel auch mitbringt, kann man sich sinnvoll dafür oder dagegen entscheiden. Denn Technik ist keine Glaubenslehre. Alles basiert auf harten und nachprüfbaren Fakten, die fundierte Entscheidungen ermöglichen.
Zur Diskussion --> https://www.win-tipps-tweaks.de/forum/umfrage-….html#post98824