Bundesjustizministerium legt Entwurf für neues Urheberrecht vor
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sagt:
"Schulen und Wissenschaft werden von digitalem Wissen abgeschnitten"
Das Bundesjustizministerium hat in dieser Woche seinen Entwurf für ein neues Urheberrecht bekannt gegeben. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sieht in der geplanten Reform eine Gefahr für die Wissensgesellschaft. "Bildung, Forschung und Unterricht werden ausgebremst, harmlose Nutzer von Privatkopien kriminalisiert", sagte Patrick von Braunmühl, stellvertretender Vorstand des vzbv.
"Der Gesetzentwurf ist unbrauchbar, weil er legitime Privatkopien fast automatisch zu illegalen Raubkopien macht und Schulen und Universitäten vom digitalen Wissen abschneidet." Das Justizministerium habe das Ziel eines fairen Ausgleichs zwischen den legitimen Interessen der Inhalteanbieter und den Bedürfnissen der Verbraucher verfehlt. Der vorgelegte Entwurf entspricht in weiten Teilen den Plänen der alten Bundesregierung. Das Gesetz wurde aber wegen der angekündigten Neuwahlen nicht mehr vom Kabinett verabschiedet. Nachgebessert wurde wohl nicht.
Bremse für Bildung und Wissenschaft
Der elektronische Dokumentenversand durch Bibliotheken, eine Art digitale Fernleihe, soll nur noch dann erlaubt sein, wenn die Verlage kein eigenes elektronisches Angebot vorhalten. Welchen Preis diese Angebote haben, spielt dabei keine Rolle. Dem elektronischen Dokumentenversand, in den das Bundesministerium für Bildung und Forschung in den letzten Jahren mehrere Millionen Euro investiert hat, wird damit die Grundlage entzogen.
Der Entwurf ignoriert auch die Forderungen vieler Schulen und der Kultusministerkonferenz, endlich für Rechtssicherheit bei der Nutzung digitaler Werke im Unterricht zu sorgen. Das Recht zum Einsatz digitaler Kopien im Unterricht wurde erst 2003 neu geschaffen, ist aber bis Ende 2006 befristet. Für Schulen ist somit unklar, ob beispielsweise das Einstellen von Inhalten in schulinterne Netzwerke künftig illegal sein wird. Schulen werden damit von Investitionen in digitale Infrastruktur abgehalten, weil sie diese nach 2006 möglicherweise nicht mehr nutzen können. "Hier wird deutlich, dass ein wesentliches Ziel des Urheberrechts - die Förderung von Wissensaustausch und Innovation - zunehmend untergraben wird," sagte von Braunmühl.
Recht auf Privatkopie wird faktisch abgeschafft
Der vzbv kritisiert, dass die geplante Urheberrechtsnovelle das Recht, digitale Kopien zu privaten Zwecken anzufertigen, nahezu vollständig aushöhlt. "Der Käufer einer Musik-CD wird keinen Anspruch haben, die Stücke auch auf seinen MP3 Player zu übertragen, um sie unterwegs zu hören, oder eine Sicherungskopie anzufertigen, um die Musik noch zu hören, wenn die gekaufte CD einen Kratzer hat," so von Braunmühl.
Kopien von urheberrechtlich geschützten Werken sollen in Zukunft verboten sein, wenn eine "offensichtlich rechtswidrig öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wurde". Gemeint ist vor allem der Download von Werken aus dem Internet. Die Formulierung kann zu gefährlichen Konsequenzen für den Nutzer führen. Vor dem Download einer Datei müsste der Nutzer in Zukunft prüfen, ob die Datei im Internet legal angeboten wird. Ist dies "offensichtlich" nicht der Fall, ist der Download strafbar oder zumindest rechtswidrig. Wie der Nutzer beurteilen soll, welche Angebote "offensichtlich rechtswidrig" sind, bleibt schleierhaft. "Es findet hier eine Verlagerung der Verantwortlichkeit für die Beachtung von Urheberrechten vom Anbieter zum Nutzer statt, die völlig inakzeptabel ist", sagte von Braunmühl.
Bleibt der Gesetzentwurf unverändert, müsste dem Nutzer in Zukunft empfohlen werden, deutlich vorsichtiger mit dem Medium Internet umzugehen. "Ob dies mit den Zielen der Bundesregierung vereinbar ist, die Informations- und Wissensgesellschaft zu fördern und Deutschland zu einem Vorreiter bei der Nutzung des Internet zu machen, darf bezweifelt werden", so von Braunmühl.
Digital Rights Management als Innovationsbremse
Die Möglichkeit zur Erstellung privater Kopien digitaler Inhalte wird durch das sogenannte Digital Rights Management (DRM) erheblich eingeschränkt. DRM-Systeme verhindern beispielsweise, dass digitale Inhalte gespeichert oder kopiert werden können. Gleichzeitig markieren sie die Dateien und ermöglichen es so, den Weg jeder einzelnen Datei zu verfolgen. Das Urheberrecht verbietet es, DRM-Systeme auch für private Kopien zu umgehen.
Experten halten das Argument von Verlagen und Musikindustrie jedoch für vorgeschoben, DRM solle Raubkopien und Piraterie verhindern. "Digital Rights Management trifft ausschließlich harmlose Privatnutzer - gewerbliche Raubkopierer wissen genau, wie sich DRM-Systeme ausschalten lassen," so von Braunmühl.
Der vzbv befürchtet durch die DRM-Systeme eine Einschränkung des Zugangs breiter Bevölkerungsschichten zu Informationen und Kultur. Wenn für jeden Informationsabruf, das Hören eines Musikstückes oder das Sehen eines Dokumentarfilms Geld verlangt werden kann, ohne dass eine Aufzeichnung gestattet wird, besteht die Gefahr einer Verknappung und Verteuerung von Informationen, Kulturwerken und Beiträgen der Wissenschaft. Dies kann nicht im Interesse des Allgemeinwohls liegen.
DRM-Systeme können auch genutzt werden, um das Verhalten der Nutzer am PC oder anderen Endgeräten aufzuzeichnen und zu kontrollieren. Dies ermöglicht die Bildung von Nutzerprofilen und bedeutet einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre.
"Musikindustrie treibt Kunden in illegale Tauschbörsen"
Bereits seit geraumer Zeit im Einsatz sind die Kopierschutzsysteme der Musikindustrie. Musikliebhaber erwarten heute, dass sie Musikstücke aus dem Internet beziehen, beliebig mischen und in verschiedenen Formaten an unterschiedlichen Orten hören können. Anstatt sich auf diese Wünsche einzustellen und ihre Geschäftsmodelle anzupassen, arbeitet die Musikindustrie größtenteils mit Kopierschutzsystemen, die genau das verhindern und zusätzlich dazu führen, dass die CDs auf älteren Geräten gar nicht mehr abspielbar sind.
Ein Kopierschutz von Sony BMG sorgte in den USA kürzlich für einen Skandal, weil es unbemerkt ein sogenanntes rootkit auf dem Rechner des Nutzers installierte, das zu einem Sicherheitsrisiko bei Angriffen aus dem Internet führte. Die entsprechenden CDs mussten wieder vom Markt genommen werden.
Die Musikindustrie hat es über viele Jahre nicht geschafft, ein attraktives legales Angebot zum Musikdownload im Internet bereitzustellen. Damit hat sie ihre Kunden selbst in die Arme illegaler Tauschbörsen im Internet getrieben. Anschließend ist sie dazu übergegangen, Kunden und solche die es werden könnten, zu verklagen. "Anstatt Kunden weiter zu vergraulen sollte die Musikindustrie endlich dazu übergehen, die legalen Angebote attraktiver zu gestalten", so von Braunmühl. Es gibt Beispiele von Musikdownload-Diensten, die Nutzerrechte durch DRM sogar noch nach Kauf eines Musikstücks zum Nachteil der Kunden eingeschränkt haben.
Datenschutz
In einem parallelen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Durchsetzung von Urheberrechten, das ebenfalls in dieser Woche veröffentlicht wurde, plant das Justizministerium Inhabern von Urheberrechten einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch gegen Internet Service Provider auf Herausgabe von Nutzerdaten einzuräumen. "Dies ist eine unzumutbare Einschränkung des Datenschutzes von Internetnutzern. Es ist völlig ausreichend, wenn Staatsanwälte im Verdachtsfall die Daten von Beschuldigten ermitteln können. Ein solches Auskunftsrecht muss zumindest unter Richtervorbehalt gestellt werden", kritisierte von Braunmühl.